Das mit dem Bahnfahren ist in Deutschland so eine Sache. Bei der Buchung geht es schon los. Betrachtet man die Preise, die beispielsweise für eine einfache Fahrt von Köln nach Hamburg verlangt werden, liegt die berechtigte Frage nahe, ob man nach Erwerb einer solch exklusiven Fahrkarte automatisch zum Hauptaktionär der Deutschen Bahn AG wird.
Über die Webseite der Bahn kann man durchaus geteilter Meinung sein. Man kann Online-Buchungssystem durchaus intuitiv, übersichtlich und für jedermann verständlich gestalten oder man macht es eben wie die Bahn. Mit Informatik-Diplom im Lebenslauf lässt sich aber an der Webseite wirklich nichts aussetzen. ASCI- und Binär-Code sei Dank ist man als IT-ler tatsächlich Schlimmeres gewohnt.
Damit wären wir dann auch schon beim vielzitierten schlechten Service der Bahn angekommen. Wo sonst ist es offensichtlich Standard, dass der geneigte Reisende wortwörtlich einfach mal pauschal um reichlich Geduld gebeten wird. Die Lösung des Rätsels, wofür man Geduld haben soll, soll ein Mysterium bleiben. Aber so bleibt die Bahnreise auch wenigstens spannend. Denn niemand – inkl. des Bahnpersonals selber – kann sagen, wo genau das Service-aufsaugende schwarze Loch heute auftauchen wird.
Nicht weniger beachtenswert ist das Englisch des Bordpersonals. Der in dieser exotischen Fremdsprache dargebotene Hinweis auf den oder das „Ei-si-ii-serrwis“ läßt alle Reisenden sichtbar in den Spracherkennungsmodus wechseln, aus dem sie erst nach einer gefühlten Ewigkeit mit der Erkenntnis „Ah! Englisch! ICE Service“ wieder auftauchen. Ebenso ist der Satz „Tänk ju for tschoosen deutsch bahn“ sowohl grammatikalisch als auch artikulatorisch betrachtet ein wahres Trauerspiel.
Ein kleiner Trost ist, dass das Personal anscheinend an einer allgemeinen Sprachstörung zu leiden scheint. Denn auch im Deutschen ist man hier nicht wirklich an vorderster Front unterwegs. So „berufen“ sich hier zum Beispiel die Verspätungen auf 10 Minuten anstatt sich zu belaufen. Der Reisegast vom Typ „Wissend“ quittiert das über Lautsprecher Präsentierte mit mitleidvollen bis verständnislosen Blicken während der Sitznachbar vom Modell „Nix verstehen“ über diese sprachlichen Aussetzer unwissend hinwegsieht.
Nicht minder interessant ist während einer Bahnreise das Anfertigen von Verhaltensstudien über die Mitreisenden. Besonders schön anzuschauen und vor allem anzuhören sind hier weibliche Zeitgenossen der Gattung Prosecco-Lerche, deren lautes Geschrei selbst Kaffee-Pappbecher zerspringen und die Nerven aller anderen atmenden Wesen im selben Abteil zerreißen lässt.
Ein ebenso wunderbares Anschauungsobjekt ist der gemeine Rentner vom Reifungsgrad 70+. Das Fehlen einer beruflichen Festanstellung könnte für Aussenstehende als Zustand der vollkommenen Entspannung interpretiert werden. Die Realität dieser bemitleidenswerten Mitmenschen sieht jedoch so aus, dass sie anscheinend stets unter Zeitdruck stehen. Andere Bahnreisende, die vielleicht gerade der irrwitzigen Idee nachgehen, ihre Taschen und Jacken auf den Gepäckablagen über den Sitzen platzieren zu wollen, stellen für sie vollkommen inakzeptable Zeitverzögerungen auf dem Weg zum nächsten freien Sitzplatz dar. Denn eben jener Sitzplatz scheint paradiesartige Verlockungen in ihnen zu wecken und muß deshalb auf jeden Fall erobert werden – gegebenenfalls auch unter waffenartiger Zuhilfenahme der mitgebrachten Gehhilfen.
Hat man sich selber bereits auf einem Platz eingerichtet, läßt sich entspannt nach jedem Bahnhof der Zugang neuer Reisender und damit ein weiteres Phänomen beobachten. Denn hier und da gibt es immer wieder Reisende, die mit der mehrschichtigen Aufgabe des parallelen im Zug nach einem freien Platz und gleichzeitig nach der mitgebrachten achtköpfigen Familie Umschauens vollkommen überfordert sind. In der Regel kommt zu dieser ohnehin schon schweren Aufgabe auch noch das Manövrieren des schrankförmigen, mehrteiligen Koffersets durch die viel zu engen Gänge hinzu. Da können die bereits in beide Richtungen Schlange stehenden anderen Gäste natürlich verstehen, dass der Koffer und die Handtasche sich ebenso wie ihre Träger einen Sitzplatz verdient haben.
Eines ist also auf jeden Fall gewiss: Eine Reise mit der Bahn wird nie langweilig, so dass man die planmäßige Verspätung von mindestens 10 Minuten gerne in Kauf nimmt.